Die Bewertung von Funktionsverlagerungen ins Ausland

von Dr. Heribert Warken

In einer Mitte des Jahres 2023 durchgeführten Umfrage des DIHK bei über 3.500 Betrieben in Deutschland zeigt sich, dass sich die Abwanderungspläne der Industrie verstärken.

Fast ein Drittel der Industriebetriebe (31,7%) plant oder realisiert die Verlagerung von Kapazitäten ins Ausland bzw. die Einschränkung der Produktion im Inland als Reaktion auf energiepolitische Rahmenbedingungen.

Und so nachvollziehbar diese wirtschaftlichen Überlegungen auch sind, so droht doch auch für diese Betriebe ggf. noch ein weitere Gefahr aus steuerlicher Sicht, nämlich die Besteuerung dieser Funktionsverlagerung!

Als Funktionsverlagerung i. S. des § 1 Abs. 3b AStG ist die „Verlagerung“ einer in einem bestimmten Staat belegenen wirtschaftlichen Funktion (hier: Deutschland)  in einen anderen Staat anzusehen. Voraussetzung ist also, dass eine Funktion von einem abgebenden Unternehmen auf ein aufnehmendes Unternehmen übertragen wird und dabei Wirtschaftsgüter oder sonstige Vorteile genutzt oder übertragen werden.

Als „Funktionen“ kommen hierbei beispielsweise in Betracht: Geschäftstätigkeiten, die aus Geschäftsleitung, Forschung und Entwicklung, Materialbeschaffung, Lagerhaltung, Produktion, Verpackung, Vertrieb, Montage, Bearbeitung oder Veredelung von Produkten, Qualitätskontrolle, Finanzierung, Transport, Organisation, Verwaltung, Marketing oder Kundendienst bestehen (vgl. Tz. 3.89.)

Funktionsverlagerungen setzen eine Funktionseinschränkung bis hin zur Funktionseinstellung beim verlagernden Unternehmen voraus. Auch die Abschmelzung von Funktionen und Risiken von einem Unternehmen mit hohem Funktions- und Risikoprofil auf ein Unternehmen mit niedrigem Funktions- und Risikoprofil gehört dazu, nicht jedoch Funktionsverdoppelungen.

Wertermittlung

Für die Übertragung dieser betrieblichen Funktionen ist ein sogenanntes Transferpaket zu ermitteln. Ein Transferpaket kennzeichnet hierbei den zu erwartenden finanzielle Nutzen dieser betrieblichen Funktion, der sich aufgrund einer betriebswirtschaftlichen Bewertung nach einem kapitalwertorientierten Verfahren ergibt, das als Bewertungsstandard anerkannt und auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblich ist.  Hierbei kommen insbesondere das Ertragswertverfahren und das DCF-Verfahren in Betracht.

Die bei der Ermittlung der finanziellen Überschüsse zu berücksichtigenden Steuern sind die voraussichtlich festzusetzenden oder tatsächlich festgesetzten und gezahlten und um einen ggf. bestehenden Ermäßigungsanspruch gekürzten Steuern vom Ertrag des jeweiligen Unternehmens. Auf den nominalen Steuersatz kommt es nicht an. Persönliche Ertragsteuern der Gesellschafter bleiben bei Kapitalgesellschaften unberücksichtigt. Bei Personenunternehmen kann auf die Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuern grundsätzlich nicht verzichtet werden. Typisierend können die anzusetzenden Steuern jedoch in Höhe der Ertragsteuern angesetzt werden, die entstanden wären, wenn statt Personenunternehmen Kapitalgesellschaften an der Funktionsverlagerung beteiligt gewesen wären. Eine (ggf. fiktive) Steuerbelastung auf Gewinnausschüttungen ist nicht zu berücksichtigen.

Kapitalisierungszinssatz

Der angemessene Kapitalisierungszins stellt die Rendite einer zum Bewertungsobjekt hinsichtlich Laufzeit, Risiko und Besteuerung äquivalenten Alternativanlage dar. Je nach Wahl des konkreten Bewertungsverfahrens ist dabei die Eigenkapitalrendite oder die Rendite aus Eigen- und Fremdkapital zu berücksichtigen. Zur Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes ist auf die Risikozuschlagmethode abzustellen. Im Rahmen dieser Methode wird der Kapitalisierungszinssatz in seine Komponenten Basiszinssatz und Risikozuschlag aufgeteilt. Der Risikozuschlag ergibt sich als Produkt aus Marktrisikoprämie und Betafaktor. Für den Zeitraum einer ewigen Rente ist im Kapitalisierungszinssatz ein Wachstumsabschlag zu berücksichtigen.

Ein offizielles Beispiel für die Ermittlung finden Sie hier:

Dieser Wert des Transferpakets ist entsprechend beim „abgebenden“ Unternehmen zu versteuern, sodass die Funktionsverlagerung aus einem deutschen Unternehmen in eine ausländische Tochtergesellschaft zunächst einmal eine Steuerbelastung auslöst, obwohl die der Bewertung zugrunde gelegten zukünftigen Erträge noch nicht erwirtschaftet worden sind.

Zwar wurde im Rahmen des europäischen Kontextes durch die ATAD II Richtlinie dieses Problem dahingehend gelindert, dass der aufnehmende Staat den gleichen Wert als abschreibungsfähige Anschaffungskosten ansetzt. Dennoch kann es in einem Drittlandsfall durchaus größere Probleme entstehen, wenn Wertansätze in unterschiedlichen Ländern divergent behandelt werden.

Überlegen Sie ihre betrieblichen Funktionen ins Ausland zu verlagern?